Analytics und ROI

Von | 6. August 2013

Wenn man in einer Branche ist, in der ein wichtiger Konkurrent ein kostenloses Tool anbietet, dann führt man zwangsläufig Gespräche über „den Wert“ des zu bezahlenden Tools.

Jedes grössere Unternehmen hat ein „product marketing“ Team, das Vergleiche anstellt, Vorteile formuliert, „den Wert“ vermittelt und so weiter. Das hilft allen Mitarbeitern mit Kundenkontakt, solche Gespräche zu überstehen. Auch klar.

Kennen wir alle.

Interessant ist, daß ich oft Gespräche führe, die genau so anfangen, dann aber in eine ganz andere Richtung gehen. Das hat mich anfangs unglaublich frustriert, weil ich das Gefühl hatte, fast zu helfen aber eben nicht wirklich.

Neue Namen

Und jetzt heißt SiteCatalyst auf einmal „Adobe Analytics – Reports & Analytics“ und plötzlich kann ich formulieren, was los war!

Der neue Name macht eine Sache ganz klar: SiteCatalyst ist ein Reportingtool mit Analysefähigkeiten. Im Gegensatz dazu ist z.B. Discover („Ad-hoc Analytics“) ein Analysetool. Wenn ein Tool zwei Dinge kann, dann muß man immer aufpassen, über welches davon man gerade spricht!

Auf einem ganz grundlegenden Level sind Diskussionen über den ROI oder den Wert einer Lösung für Reporting natürlich vollkommen anders als die über den ROI von Analysetools: Beim Reporting ist es sehr schwierig, überhaupt einen ROI zu erzielen!

Damit gehen die Gespräche um Features oder Wünsche und Launen von Vorgesetzten — um es mal ein wenig zu überspitzen. Und ob mit oder ohne Konkurrenz im Rennen: Solche Gespräche bewegen sich immer ganz hart am Rande des „eigentlich liest die Reports eh niemand“ Abgrundes.

Da kann ich mich dann beliebig lange mit product marketing zusammensetzen und Material ansammeln, gegen „eigentlich liest das niemand“ kann man einfach nicht gewinnen.

Und das ist ja auch sinnvoll. Seien wir mal ehrlich: Wenn eigentlich niemand die Reports liest, dann sollte es sie nicht geben. Wer Geld für ein Tool ausgibt, das ungelesene Reports generiert, der verschwendet nicht nur das Geld für das Tool, sondern auch die Zeit der Mitarbeiter!

Deutschland

Auffällig ist, daß gerade in Deutschland der Aspekt Reporting sehr wichtig zu sein scheint, mehr als z.B. im UK. Wenn man in Deutschland über Anforderungen, KPIs, Ideen oder Strategien spricht, geht es zum größten Teil um Reports oder genauer gesagt um wöchentlich versendete Emails.

Man könnte fast meinen, normalerweise werde SiteCatalyst (ok, ok, ab jetzt schreibe ich „R&A“) in Deutschland primär als Reportingtool angeschafft.

Ich weiß nicht, ob das eine kulturelle Frage ist oder ein Symptom von „maturity“, wie es die Kollegen in den USA immer gerne sehen.

Das ist aber auch vollkommen egal. Was zählt ist, daß jede Diskussion über den Sinn und Unsinn von R&A in Deutschland anders laufen muß als in den USA oder im UK.

Idealerweise sollte man auch schon früher ansetzen und aufzeigen, warum Analysen den Aufwand wert sind und inwieweit sie helfen können, tatsächlich am Gewinn der Firma zu schrauben. Dieses Blog ist ein Teil davon, hoffe ich jedenfalls.

Wichtig ist aber auch der Dialog zwischen Kunden, der Austausch, und zwar jenseits von case studies. Die Partnerlandschaft spielt hier ebenfalls eine gewisse Rolle.

Und: Analysten! Mehr Selbstbewußtsein bitte!

Ich behaupte nicht, daß Reporting Unsinn ist und generell nicht das Geld wert. Ich behaupte aber, daß der Aspekt Reporting bei Diskussionen um ROI anders angegangen werden muß. Es gibt hier keinen traditionellen ROI.

Man muß also entscheiden, wieviel einem Reports einer bestimmten Form wert sind, und zwar ohne daß da eine irgendwie geartete „wir haben anhand der Reports 2013 EURxxx hinzuverdient“ Zahl reinspielt. Es geht nur um „wir zahlen EURyyy, damit die Reports xyz können“ oder „wir zahlen EURzzz, damit die Reports eine bestimmte Form haben“.

Neuer Wind

Analyse hingegen ist ein weites, offenes Feld, voller Möglichkeiten und Überraschungen. Forscherdrang und Phantasie können hier mal so richtig die Sau rauslassen, und oft kommt dabei am Ende auch noch was wirklich nützliches heraus!

Gespräche mit Kollegen oder Kunden die wirklich analysieren drehen sich nicht um das „Warum“ oder die operationellen Aspekte, sondern um Dinge wie strategische Unternehmensziele, unerforschte Methoden, spezifische Fragen zu einer Analyse oder einem Modell — das gesamte Spektrum von der Technik bis rauf zur Strategie.

Letzteres macht das interessant: Da werden Daten erhoben, Tests gemacht und Modelle überprüft, weil es ein Ziel zu erreichen gilt! Auf einmal ist jede Diskussion klar definiert. Man diskutiert nachwievor Details, hat aber einen Bezugsrahmen. Und dieser Bezugsrahmen hat normalerweise einen meßbaren Wert.

Alleine deswegen kann man schon über ROI reden.

Ganz dämliches Beispiel: Wasserhahn tropft.

Reporting zeigt mir, wie ich über die Monate hinweg immer Geld ausgegeben habe. Da sehe ich vielleicht, daß ich ein Problem habe. Kann aber auch gut sein, daß der stete Tropfen im Gesamtbild gar nicht auffällt.

Sobald aber jemand analysiert hat er eine reelle Chance, die permanente Störung zu bemerken. Z.B. waren meine Frau und Kinder seit dem 27.7. bei den Schwiegereltern, der Wasserverbrauch sollte also auf etwa 1/5 zurückgegangen sein, ganz grob. Und am letzten Dienstag und Mittwoch war ich ebenfalls nicht zuhause, würde also 0 Verbrauch erwarten. Aha!

Die Daten zeigen eine Anomalie, also fange ich an zu suchen und finde letztendlich das Problem (den tropfenden Hahn). Das kann ich jetzt lösen, falls ich denke es ist es wert. ROI.

Neue Ideen

Manchmal sieht man auch schiere Frustration, weil Leute etwas analysieren wollen, es aber nicht zustande bekommen. In diesen Fällen zu helfen gehört vermutlich zu den absoluten Highlights in jedem Job.

Der Druck hinter einer solchen Situation ist naturgemäß höher als bei einer Frage zum Reporting.

Mein Verdacht ist, daß neue Ideen in der Webanalyse in erster Linie oder sogar nur entstehen, wenn jemand eine Analyse machen möchte und dazu Daten benötigt, die er noch nicht hat.

Beim Reporting fehlt dazu der Druck, aber auch die Kreativität. Reporting ist ja per se langfristig und dadurch von der Vergangenheit stark bestimmt. Selbst für neue Ideen (z.B. Apps) konzentriert sich das Reporting zunächst auf Kennzahlen, die man vergleichen kann.

Das führt uns wieder zurück zur oben gestellten Frage: Ist die hohe Konzentration auf Reporting in Deutschland eine kulturelle Sache oder ein Symptom von mangelnder maturity?

Ich denke die Kultur spielt eine Rolle. Für ein Unternehmen in den USA ist es einfacher, Vergangenheit unter den Teppich zu kehren und Neues auszuprobieren. Das steckt sowohl im Selbtverständnis der Unternehmen als auch der Mitarbeiter.

Als Deutscher sehe ich sofort die Nachteile dieser Art: Man macht gerne mal Fehler zweimal oder mehr. Man stürzt sich auf unausgegorene und riskante Ideen. Wir tendieren auf der Skala „Sicherheit — Risiko“ ja eher in die Richtung Sicherheit.

Aber eigentlich sollte das mehr Grund sein für Analysen! Wer Neues nur ausprobieren will, wenn er es genügend verstanden hat, der sollte erst recht analysieren!

Wozu haben wir denn den Ruf, exzellente Forscher zu sein?

Analysen!

Es gibt viele Leute, die mit R&A hervorragende und bemerkenswert tiefgehende Analyse machen. Die sind aber leider in der Unterzahl…

Daher mein Aufruf: Wer mit R&A oder Ad-hoc Analytics eine Analyse gemacht hat, bei der überraschende Ergebnisse herauskamen oder Ergebnisse mit großem Einfluß auf den Betrieb, der sei herzlich eingeladen, die Analyse hier im Blog zu beschreiben.

Ich denke unter dem Strich hilft das uns allen.

tl;dr

Reporting hat keinen ROI!

Vollkommen egal ob wir von Webanalyse reden, Finanzen oder welchen Reports auch immer — Reporting hat keinen ROI! Analysen können einen ROI haben, nämlich wenn sie etwas aufdecken, das man dann gewinnbringend nutzen kann.

Wer ein Gegenbeispiel kennt, also einen Report mit ROI, der möge das bitte in den Kommentaren erklären!

6 Gedanken zu „Analytics und ROI

  1. Andrei

    Gutes Reporting kann ein Problemfeld aufdecken, bevor an der lokalisierten Stelle mit einer Analyse reingebohrt wird, um die eigentliche Ursache zu finden. Allein deswegen ist eine gut durchdachte Reporting-Landschaft sehr wertvoll, als Wegweiser für die Analysen.

    Um die Diskussionen unter dem Motto “eigentlich liest die Reports eh niemand” zu vermeiden, kann man die unternehmerische Erfolgsmessung (samt eventueller Bonis) an die KPIs aus den Reportings hart koppeln. Dadurch wird niemand das Reporting so einfach ungelesen in den Papierkorb verschieben wollen.

    Ansonsten stimme ich der These zu, dass letztendlich nur die Analyse den ROI bringt. Aber ein Reporting kann eine wichtige Vorstufe dafür sein.

    Schöne Grüße

    Antworten
    1. Jan Exner

      Eine „durchdachte Reporting-Landschaft“ ist sicher gut geeignet, Rahmenbedingungen zu setzen, und sowas kann den Analysten helfen, ganz klar. Es kann aber auch andersherum laufen: ohne Struktur muß der Analyst selber nachdenken und verfällt daher nicht in bekannte Bahnen (die ja auch mal falsch sein können).

      Zur Koppelung des Bonus würde mich mal interessieren, wie oft das wirklich getan wird. Wird irgendwer hier so gemessen? Oder kennt jemanden, bei dem das so ist?

      Antworten
      1. Andrei

        Die Frage nach der Koppelung ist, denke ich, für konkrete Beispiele zu sensibel. Aber rein theoretisch besteht eine solche Möglichkeit. Dies setzt natürlich ein stabil funktionierendes Webanalyse-System mit belastbaren Zahlen voraus.

        Antworten
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