Attribution – wie geht’s weiter?

Von | 15. Juli 2014

In unserer Branche und ganz generell in allem, was mit IT zu tun hat, gibt es die alte Weisheit, daß man in den USA uns Europäern immer ein paar Jahre voraus ist.

Ein für uns relevantes Beispiel ist die Rolle des „data scientist“, die in letzter Zeit in den USA in aller Munde ist. Dabei handelt es sich um eine Person, die erstens ein guter Analyst ist und zweitens „mit big data umgehen kann“, was auch immer das genau bedeuten mag.

Bei uns in Europa gibt es den Jobtitel noch nicht so richtig, und es liegt nahe zu vermuten, daß es den Job noch nicht gibt.

Ein anderes Beispiel ist Attribution — Während hierzulande die überwältigende Mehrheit „last touch“ auswertet und viele sich gar nicht im Klaren sind, was eigentlich das Problem ist, geht man in den USA von Attribution schon wieder weg.

Wer des Englischen mächtig ist, sollte sich mal die Gedanken von Gary Angel zu dem Thema durchlesen (hier und hier).

Garys Grundaussage ist, daß jede Art von Attribution eigentlich falsch ist. Linear, u-shaped, last touch, Badewanne, ganz egal, denn das eigentliche Problem liegt tiefer. Und es geht Gary auch nicht nur darum, daß ein Attributionsmodell problematisch ist (siehe Multichannel und Attribution) sondern er wendet sich gegen die Idee ganz generell.

Ein wunderschönes Beispiel aus seinem Artikel: Ein Unternehmen hat ein Produkt das über Abonnements verkauft wird. Um die 85% bleiben jedes Jahr dabei, 15% springen ab. Nun beginnt Marketing mit einer Emailkampagne solche Kunden anzusprechen, die bald renewal haben. Die meisten der Kunden öffnen die Email. 85% erneuern ihr Abo.

Der Marketer kann einen bemerkenswerten Erfolg vorweisen: 85% Erfolgsrate! Das ist wirklich hervorragend. Right?

Lift, Lift, Lift

Wer genauer hinsieht und sich mit der Materie ein wenig auskennt, der sieht natürlich daß man fairerweise der Kampagne genau 0 Effekt zurechnen sollte, denn auch ohne die Kampagne haben traditionell 85% ihr Abo erneuert. Mit anderen Worten: Die Kampagne ist schlicht herausgeworfenes Geld. Und wir betrachten hier noch nicht einmal den negativen Effekt, wenn Benutzer genervt sind und wegen der Kampagne nicht erneuern.

Die Lehre daraus: Wenn man (mit Attribution oder ohne) conversion betrachtet und dann Kampagnen zu 100% darauf anrechnet, dann unterschlägt man einen Teil der Realität. Im Beispiel oben ist der Teil überwältigend, manchmal ist er sicher kleiner.

Man muß aufpassen, was man genau worauf anrechnet. Und wenn man wirklich den Effekt einer Kampagne quantitativ messen möchte, muß man sich nicht conversion ansehen, sondern lift — wieviel mehr conversions habe ich mit der Kampagne im Vergleich zu ohne.

Das ist selbstverständlich gar nicht so einfach.

Wer mag kann Holdout-Tests machen, also ein Testsegment aufsetzen, dessen Benutzer nicht beworben werden. Diese Benutzer müssen aber „ähnlich genug“ sein, also vergleichbar.

Oder man kann historische Daten als Grundlage hinzuziehen, wie im Beispiel oben die 85%. Genau für solche Betrachtungen haben Webanalysetools ja Trendansichten.

SEA & Targeting

Wer sich mit SEO und SEA beschäftigt, der kennt das Problem. Die Diskussion war schon immer, ob paid search manchmal einfach natural search kannibalisiert. Das wäre natürlich dämlich, denn warum sollte man für Suchtraffic zahlen, wenn man ihn auch ohne Geld bekommen kann?

Wer Analyst ist, kann ja mal mit den Kollegen von der Suche reden und herausfinden, wie die das Problem angehen. Da gibt es sicher noch einiges auszutauschen…

(Sorry für das etwas kürzere Posting… Ich ziehe gerade nach Basel, bzw. wenn dieser Artikel erscheint bin ich bereits da.)

4 Gedanken zu „Attribution – wie geht’s weiter?

  1. Bijan

    Moin Jan,
    endlich spricht’s mal jemand aus, danke Dir!

    Schon vor Jahren stellte ich die Frage, warum nicht die Leute auffordern die VOR dem Laden stehen anstatt die IM Laden zu penetrieren und danach dann schauen was es MEHR gebracht hat.

    Guten Start in Basel wünsche ich Euch!

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  2. nic Diefenbach

    Wobei ich am Thema Attributionsmodell vor allen interessant finde, dass es Leute dazu bringen kann, sich mal mit der Aufgabe von Werbung=Kommunikation mit bald/schon-Kunden auseinanderzusetzen. Das führt dann zu Hypothesen, wie man als Unternehmen egentlich mit den Leuten da draussen redet und ob das so überhaupt sinnig ist.
    Performance-Marketing und der Zwang sofort zu konvertieren funktioniert für einige Geschäftsmodelle ganz gut. Aber in einem reifer werdenden Netz werden Markenbeziehungen und langfristige Beziehungen wichtiger. Und darauf den Fokus zu richten und den Übergang von Last-Cookie-Wins zu „Erfolg ist Teamplay“ zu richten, dafür finde ich das Thema ziemlich gut.

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    1. Jan Exner

      Funktioniert das wirklich?

      Hat man da nicht das Problem, dass man als Webanalyticsmensch nicht mit den richtigen Leuten im Unternehmen spricht? Bzw. man muss das Thema als Aufhänger verwenden und sich dann hocharbeiten, bis man auf jemanden trifft, für den das grössere Thema sinnvoll ist.

      Stimmt. Guter Aufhänger!

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  3. nic Diefenbach

    Von der Orga-Sicht aus stimmt das natürlich. Es hilft, wenn man nicht der Web-Analytics-Mensch ist, sondern der Marketing-Controlling-Mensch (gerne mit einem positiver konnotierten Wort für „Controlling“). Dann redet man mit den OM-Managern oder mit den Kreativen, die oft eine genaue Vorstellung davon haben, wie ihre Werbung auf die Menschen wirken soll. Und die sind ganz froh, wenn sie mal über AIDA reden und nicht nur über Sofort-Conversion.
    Technisch ist das auch anspruchsvoll, wenn wir wissen wollen, ob der Nutzer, der vor zwei Monaten unseren Content-Marketing-Artikel auf einer Partnersite _gesehen_ hat, eine höhere Wahrscheinlichkeit hat, jetzt zu konvertieren:-)

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