Emotion

Von | 21. Juli 2015

Beim DAHub London im Juni hatte ich an einer Session zum Thema „Storytelling“ teilgenommen. Die Session war gut und interessant, grundsätzlich fehlten mir nur zwei Dinge:

1. ging es viel darum, wie man Informationen rüberbringt („find out what your receipient needs, adapt, bla bla bla“) aber weniger darum, wie man daraus eine Story macht, einen Ablauf mit Spannungsbogen anstatt Daten zu präsentieren, und
2. fehlte mir eine wichtige Komponente: Wer eine Geschichte erzählen möchte, die beim Empfänger etwas bewirkt (in unserem Fall z.B. den Empfänger dazu bewegt, an der Website etwas zu ändern), der muß auf die eine oder andere Weise Emotionen auslösen. Wir hatten Angst, Neugier und „Drama“ angesprochen, niemand hatte aber wirklich konkrete Vorstellungen davon, wie man das einflechten kann.

Wow!

Ich glaube (oder hoffe) das kennen wir alle: Man sucht in seinen Daten nach etwas und findet plötzlich (und manchmal vollkommen unerwartet) einen Zusammenhang oder eine Anomalie oder ein anderes Wow! signal.

Daraus kann ein ungeheurer Motivationsschub entstehen.

Wenn so etwas passiert, sitzt man auch mal gerne bis spät am Rechner und macht weiter, oder man freut sich auf den nächsten Morgen, wenn man weitermachen kann. Das sind quasi die Momente, für die man als Analyst diesen Job überhaupt macht.

Grundsätzlich ist mir positive Emotion immer lieber als Angst oder Frust. Deswegen ist „Aufregung“ eigentlich eine schöne Sache — as in „Vor Aufregung ganz aus dem Häuschen!“

Gibt aber ein ganz großes Problem, jedenfalls im Zusammenhang mit „storytelling“: Was für mich ein Wow! signal ist, läßt meinen Boss oder den Kollegen aus dem Business vielleicht total kalt.

Ich sage nicht, daß die Momente nichts wert sind, im Gegenteil! Nur muß man sich darüber im Klaren sein, daß sich die Empfänger unserer Analysen für ihre eigenen Umstände interessieren, ein Wow! signal sie also nur dann interessiert, wenn es auch für sie ein Wow! ist.

Beispiel: Ich finde in meinen Daten eine Anomalie. Nach langer Analyse finde ich, daß man wiederkehrende, männliche Käufer, die vor 2 – 3 Wochen Produkt X gekauft haben, mit fast 90%-iger Wahrscheinlichkeit dazu bewegen kann, jetzt Produkt Y dazuzukaufen. Super! Wow! 90%!

Leider gibt’s davon nicht so viele und Produkt Y kostet 5.99.

Vom reinen Handwerk her ist das cool, keine Frage. Führt auch zu allerlei Fragen („wie kommt das wohl?“). Aber eben nicht zu viel Umsatz.

Der Kollege im Business würde sich mehr freuen, wenn wir ihm quick&dirty 100.000 mehr Umsatz generieren könnten.

Manche unserer Kollegen nennen sich „data geek“. Da steckt mehr Wahrheit drin, als man sich wünscht. Geeks haben ja nicht umsonst den Ruf, andere Leute mit ihrem Thema zu langweilen.

Daran muß man einfach denken.

Was tun?

Ich war in die Session gegangen, weil ich gehofft hatte, andere würden konkrete Tips mitbringen. (Wer welche hat: Kommentar!)

Letztendlich herausgekommen ist das gleiche Ergebnis wie bei der Session zum Thema „Wie finde ich Budget für Analytics?“: Wir müssen verkaufen. Uns. Unsere Ergebnisse. Unsere Arbeit.

Das ist unangenehm.

Ich denke, niemand von uns hat sich Analytics ausgesucht, weil es so interessant ist, abstrakte und komplexe Sachverhalte zu verkaufen, oder?

Manche von uns sind eher zufällig hier, manche kommen aus dem Marketing, und beim DAHub war sogar jemand, der Webanalyse als den Schnittpunkt zweier Interessen sah: sowohl wissenschaftlich als auch kreativ. Aber ich muß mich anstrengen, jemanden zu finden, der aus dem Verkauf kommt.

Vielleicht muß ich meine Einschätzung vom letzten Mal revidieren: Vielleicht braucht man keinen Politiker sondern einen Verkäufer. Oder vielleicht sind das eh nur zwei unterschiedliche Worte für die gleiche Rolle.

So oder so: Wer als Analyst frustriert ist, weil alle Ergebnisse und Rufe ungehört verhallen, der hat nur eine echte Chance: Sich besser verkaufen.

Und Consultants?

Ja! Gute Frage!

Ich denke das gilt auch für uns, ob wir nun ein Mutterschiff im Rücken haben oder allein unterwegs sind. Auch wir müssen uns und unsere Arbeit verkaufen.

Ganz persönlich stelle ich mir da die Frage, wie ich das tue, denn daß ich es tue, scheint klar zu sein, auch wenn es mir selbst gar nicht so klar ist.

Ich würde mich gern auf „Integrität“ berufen, weiß aber nicht, ob man das als Mensch, der nach Integrität strebt, eigentlich überhaupt selber beurteilen darf.

Was kann man vielleicht als Consultant noch tun?

Eine Meinung haben finde ich einen guten Ansatz. Die führt nämlich dazu, daß man seine Kunden vor sinnlosem Krempel bewahren kann. Nicht immer, aber wenigstens manchmal.

Ehrlich sein kommt immer gut an. Unser Gegenüber merkt recht schnell, wenn wir nicht ehrlich sind. Man braucht das Vertrauen des Kunden, wenn man wirklich beraten will.

Zuhören ist ein wichtiger Aspekt, aber dazu kommen Verstehen wollen und vor allem auch die Bereitschaft, sich den Wünschen oder Umständen des Kunden anzupassen. Was hilft das Zuhören, wenn ich hinterher wieder meine Agenda pushe? („Ah, verstehe! Sie stellen gerade im Konzern auf Diensträder um! Unser ‚Trabant‘ hat da ein paar Vorteile, die sich durchaus vergleichen lassen…“)

Diese Liste ist eigentlich absurd. Man könnte sie so zusammenfassen: „Jan meint, die besten Verkäufer sind die, die nicht verkaufen wollen“

Meine ich das wirklich? Der Idealist in mir meint das, ja. Aber der Pragmatiker meint, das müsse man sehr gut und vorsichtig dosieren, und da hat er wohl recht.

Und jetzt?

Macht ein Sales Training. Oder lest ein Buch zum Thema.

Daraus kann man mindestens ein gewisses Verständnis für die Position mitnehmen, oft aber auch eine ganze Reihe von Tips und Tricks.

Mein Lieblingstip vom DAHub in diesem Zusammenhang: Je länger und je mehr man einem Auftraggeber Fragen stellt, anstatt mit „ah, ok, das kann ich machen“ zu antworten, desto besser kann man diesem Auftraggeber hinterher klarmachen, daß sein Anliegen Wert hat. Während man nämlich zuhört und nachfragt, wird er sich selber darüber klar, einfach nur weil er aufgrund der Fragen gezwungen ist, sich über Details Gedanken zu machen.

Mit anderen Worten: Wer zu früh eine Lösung auftischt, hat sich unter Wert verkauft.

Das gilt intern genauso wie extern. Bei ersterem geht es um Respekt und Ressourcen, bei letzterem um Vertragswert.

Schön, oder?

2 Gedanken zu „Emotion

  1. Bijan Schlünkes

    Hi Jan,
    einen Aspket vermisse ich und denke er hat einen ziemlichen Impact auf das ‚Storytelling‘. Nicht jeder Empfänger Deines Empfängerkreises ist dankbar für das Aufdecken von bspw. zusätzlichen Möglichkeiten der Gewinnmaximierung (waaas?!). Es gibt (leider) genug Kollegen, die daraus ein Drama machen, da die Idee, der Ansatz, die Analyse, die Story von DIR (dem Storyteller) kommt und nicht von ihm! Wie steht er denn nun da? Menschen halt….
    … und somit Einfluß auf deine Geschichte(n) nehmen will/wird. Damit wird daraus eben etwas anderes als Deine Story. Manch‘ einer ist allerdings auch mit Deiner Stoty überfordert, da es ihm zuviel zu lesen ist, da er statt nackten Zahlen nun denken, verstehen, interpretieren muß und das hat Deine schöne Arbeit/Story sicher nicht verdient.

    Nicht falsch verstehen, mir gefällt das auch nicht da ich ein sehr positiv denkender Mensch bin (auch in einem Haufen Sch* steckt ganz sicher auch etwas gutes), aber gerne auch ‚aufmische, aufdecke, ansporne und dadurch mehr als einmal erfahren durfte, dass das zumeist gar nicht gerne gesehen wird (obwohl alle immer so tun als ob).

    Man wird dann ruhiger und das ach-so-neue Data-Storytelling bekommt eine ganz andere Dimension 😉

    Aber – wie nahezu immer – super Thema und klasse geschrieben!

    Antworten
    1. Jan Exner

      Hihi, danke!

      Was machst Du denn mit solchen Leuten?

      Man kann ja z.B. die Story erstmal unter vier Augen erzählen und dann die Person ihre Version weitergeben lassen. Das stört ja eigentlich nicht.

      Antworten

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